
Otto Schily rechnet mit der Brandmauer-Politik ab: „Das ist Unsinn"
Es sind bemerkenswerte Worte, die da aus dem Munde eines 91-jährigen SPD-Urgesteins kommen. Otto Schily, einst Bundesinnenminister unter Gerhard Schröder und Mitgründer der Grünen, bricht mit dem politischen Konsens seiner eigenen Parteienfamilie und fordert ein Ende der Ausgrenzungspolitik gegenüber der AfD. In einem Gespräch mit der Welt sprach sich der erfahrene Politiker unmissverständlich gegen die sogenannte Brandmauer aus – jene unsichtbare Barriere, die demokratisch gewählte Volksvertreter zu politischen Aussätzigen degradiert.
Scharfe Kritik an CDU-Generalsekretär Linnemann
Besonders ins Visier nahm Schily dabei CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, der AfD-Chefin Alice Weidel öffentlich als rechtsextrem bezeichnet hatte. „Das ist Unsinn", konterte der ehemalige Innenminister mit einer Direktheit, die man in der heutigen politischen Landschaft schmerzlich vermisst. Die inflationäre Verwendung des Rechtsextremismus-Vorwurfs habe dazu geführt, dass „jeder, der Missstände benennt, schnell in die rechtsextreme Ecke gestellt" werde.
Diese Beobachtung trifft einen wunden Punkt der deutschen Debattenkultur. Wer heute auf Probleme bei der Integration hinweist, wer die Energiewende kritisch hinterfragt oder wer schlicht traditionelle Werte verteidigt, sieht sich schneller dem Verdacht des Extremismus ausgesetzt, als er „Meinungsfreiheit" sagen kann.
Demokratie bedeutet Dialog – nicht Quarantäne
„Ich halte es für falsch, die AfD in Quarantäne zu stellen", erklärte Schily unmissverständlich. Demokratische Parteien müssten in der Lage sein, mit allen im Bundestag vertretenen Fraktionen zu sprechen. Eine Selbstverständlichkeit, möchte man meinen – doch in Zeiten ideologischer Verhärtung offenbar eine revolutionäre Forderung. Der erfahrene Politiker verwies darauf, dass auf kommunaler Ebene längst pragmatische Kooperationen existierten. Vorschläge dürften nicht allein wegen ihrer Herkunft ignoriert werden.
Diese Haltung zeugt von einem Demokratieverständnis, das in der aktuellen politischen Klasse zur Rarität geworden ist. Während sich Berufspolitiker in moralischer Selbstgefälligkeit sonnen und jeden Andersdenkenden zum Staatsfeind erklären, erinnert ein 91-Jähriger daran, was parlamentarische Demokratie eigentlich bedeuten sollte: den Austausch von Argumenten, nicht die Exkommunikation des politischen Gegners.
Merkels doppeltes Erbe: Migration und Energiewende
Schily benannte auch die Ursachen für das Erstarken der AfD mit bemerkenswerter Klarheit. Angela Merkel habe mit ihrer Politik „gleich zwei Mal den Grundstein" für den Aufstieg der Partei gelegt – durch eine unkontrollierte Zuwanderung ohne klare Steuerung sowie eine unausgereifte Energiewende. Zwei politische Großprojekte, deren Folgen das Land bis heute erschüttern und die Bürger in Scharen zu den politischen Rändern treiben.
Doch der Sozialdemokrat verschonte auch die eigene Partei nicht. Die SPD habe 2015 das Thema Migration nicht ernst genug genommen. Viele ehemalige SPD-Wähler hätten sich daher abgewendet. Eine späte, aber wichtige Einsicht – wenngleich sie an der Parteispitze offenbar noch nicht angekommen ist.
Kulturelle Überdehnungen treiben Menschen zur AfD
Besonders bemerkenswert sind Schilys Ausführungen zu den kulturellen Verwerfungen der Gegenwart. Wenn Weihnachtsfeste als kolonialistisch bezeichnet würden, während gleichzeitig Moscheebauten als selbstverständlich gelten, verliere man das gesellschaftliche Gleichgewicht. „Das treibt Menschen der AfD in die Arme", warnte der einstige Grünen-Mitgründer.
Es ist eine Analyse, die den Finger in die Wunde legt. Die permanente Relativierung der eigenen Kultur, die Selbstverleugnung im Namen einer falsch verstandenen Toleranz, die Verachtung für alles Traditionelle – all dies hat einen Preis. Und diesen Preis zahlen nicht die Ideologen in ihren urbanen Blasen, sondern die einfachen Bürger, die sich in ihrem eigenen Land zunehmend fremd fühlen.
Gegen die „Mode der Dauerempörung"
Schily kritisierte auch die zunehmende Dünnhäutigkeit der politischen Klasse. Strafanzeigen wegen Beleidigungen – wie etwa im Fall des ehemaligen Wirtschaftsministers Robert Habeck – seien aus seiner Sicht überzogen. „Wenn mir jemand 'Idiot' hinterherruft – soll er doch", so der 91-Jährige mit der Gelassenheit eines Mannes, der in seiner Karriere härtere Bandagen gewohnt war.
Politiker müssten solche Angriffe aushalten können, ohne jedes Mal das Strafrecht zu bemühen. Die Debattenkultur leide unter einer „Mode der Dauerempörung". Eine treffende Diagnose für eine Zeit, in der sich Volksvertreter lieber als Opfer inszenieren, statt sich der inhaltlichen Auseinandersetzung zu stellen.
Ein Weckruf aus vergangenen Zeiten
Die Worte Otto Schilys wirken wie ein Gruß aus einer anderen politischen Epoche – einer Zeit, in der Sachargumente noch zählten und der politische Gegner nicht automatisch zum Feind der Demokratie erklärt wurde. Dass ausgerechnet ein 91-jähriger SPD-Politiker daran erinnern muss, was demokratische Streitkultur bedeutet, ist ein Armutszeugnis für die aktuelle Generation von Berufspolitikern.
Ob seine Mahnung Gehör findet, darf bezweifelt werden. Zu tief haben sich die ideologischen Gräben eingegraben, zu bequem ist die moralische Selbstgewissheit der etablierten Parteien. Doch eines hat Schily mit seinem Vorstoß erreicht: Er hat gezeigt, dass es auch innerhalb des politischen Establishments noch Stimmen der Vernunft gibt – auch wenn diese mittlerweile 91 Jahre alt sein müssen, um gehört zu werden.

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