
Wenn der Fraktionszwang zur Charakterprobe wird: CDU-Abgeordnete knickt nach "Beichtstuhlgespräch" ein
Was ist aus dem freien Mandat geworden, das unsere Verfassung den Abgeordneten garantiert? Diese Frage drängt sich unweigerlich auf, wenn man die jüngsten Vorgänge in der CDU-Fraktion betrachtet. Die Abgeordnete Sandra Carstensen wollte ursprünglich gegen das umstrittene Rentenpaket stimmen – bis sie nach eigenen Worten Fraktionschef Jens Spahn "besser kennengelernt" habe. Ein Schelm, wer dabei an mittelalterliche Überzeugungsmethoden denkt.
Die Kunst der politischen "Überzeugungsarbeit"
In der gestrigen Fraktionssitzung der Union brodelte es gewaltig. Bei einer internen Probeabstimmung zum geplanten Rentenpaket zeigten sich mindestens 13 Abweichler – darunter mehrere Enthaltungen und etwa zwanzig klare Nein-Stimmen. Ein deutliches Signal des Widerstands, könnte man meinen. Doch die Fraktionsführung hatte offenbar andere Pläne.
Besonders pikant ist der Fall der 54-jährigen CDU-Politikerin Sandra Carstensen. Anders als die rebellischen Mitglieder der Jungen Gruppe gehört sie zu den etablierten Kräften der Fraktion. Dennoch hatte auch sie zunächst vor, gegen das Rentenpaket zu stimmen. Was dann geschah, liest sich wie aus einem Lehrbuch der Machtpolitik.
Von der Überzeugung zur Unterwerfung
Carstensen berichtete in der Fraktion, sie habe in den vergangenen Tagen Fraktionschef Spahn "besser kennengelernt". Diese kryptische Formulierung bezieht sich auf die sogenannten "Beichtstuhlgespräche" – Einzelgespräche mit der Fraktionsführung, in denen rebellische Unionsabgeordnete zur Räson gebracht werden sollen. Bei Carstensen scheint diese Methode ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben: Sie kündigte an, am Freitag nun doch für das Paket zu stimmen.
"Dann habe sie jedoch Fraktionschef Spahn in den vergangenen Tagen besser kennengelernt"
Man fragt sich unwillkürlich: Was genau hat Spahn in diesen vertraulichen Gesprächen gesagt oder angedeutet? Wurde hier mit Listenplätzen gelockt oder mit deren Verlust gedroht? Die Formulierung vom "besseren Kennenlernen" klingt jedenfalls mehr nach Drohung als nach freundschaftlicher Überzeugungsarbeit.
Das Grundgesetz als Makulatur?
Artikel 38 des Grundgesetzes ist eindeutig: Abgeordnete sind "Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen". Doch was ist dieses hehre Prinzip noch wert, wenn Parlamentarier nach "Beichtstuhlgesprächen" plötzlich ihre Überzeugungen über Bord werfen?
Die Vorgänge werfen ein bezeichnendes Licht auf den Zustand unserer parlamentarischen Demokratie. Wenn Abgeordnete nicht mehr nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden können, sondern sich dem Fraktionszwang beugen müssen, wird das freie Mandat zur Farce. Besonders bitter: Es geht hier nicht um irgendeine Nebensächlichkeit, sondern um ein Rentenpaket, das Generationen belasten wird.
Die Zitterpartie am Freitag
Ob es am Freitag nach der Debatte, die um 11:20 Uhr beginnen soll, zu einer namentlichen Abstimmung kommt, ist noch offen. SPD-Fraktionsvorsitzender Matthias Miersch ließ dies bei einer Pressekonferenz bewusst im Unklaren. Klar ist jedoch: Es wird eine Zitterpartie für die Merz-CDU. Bisher zeigt sich nur ein einziger der jungen Abgeordneten, Daniel Kölbl, kompromissbereit.
Die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD, die seit Mai 2025 unter Kanzler Friedrich Merz regiert, zeigt damit schon früh ihre hässliche Fratze. Statt auf Überzeugung setzt man auf Druck, statt auf Argumente auf Machtpolitik. Der vollmundige Koalitionsvertrag "Verantwortung für Deutschland" entpuppt sich als das, was kritische Beobachter von Anfang an befürchtet hatten: Ein Blankoscheck für die Fortsetzung einer Politik, die Deutschland immer tiefer in die Schuldenfalle treibt.
Ein Sittenbild des politischen Betriebs
Was bleibt, ist ein bitterer Nachgeschmack. Wenn selbst gestandene Abgeordnete wie Carstensen nach einem "Gespräch" mit der Fraktionsführung ihre Meinung um 180 Grad drehen, sagt das viel über die Mechanismen der Macht in Berlin aus. Die vielzitierte "Gewissensentscheidung" wird zur hohlen Phrase, wenn das politische Überleben wichtiger ist als die eigene Überzeugung.
Für die Bürger, die diese Politiker gewählt haben, ist das ein Schlag ins Gesicht. Sie haben Vertreter gewählt, die ihre Interessen wahrnehmen sollen – nicht Marionetten, die nach der Pfeife der Fraktionsführung tanzen. Doch genau das scheint in der Berliner Republik zur traurigen Normalität geworden zu sein.
Die Episode zeigt einmal mehr: Deutschland braucht dringend Politiker mit Rückgrat, die sich nicht von "Beichtstuhlgesprächen" einschüchtern lassen. Politiker, die das Wohl des Landes über ihre eigene Karriere stellen. Doch solange das System mit Listenplätzen und Fraktionszwang die Mutigen bestraft und die Angepassten belohnt, wird sich daran wohl nichts ändern. Ein Trauerspiel für unsere Demokratie – und ein weiterer Sargnagel für das Vertrauen der Bürger in die Politik.

- Kettner Edelmetalle News
- Finanzen
- Wirtschaft
- Politik











