
Chinas verzweifelter Kampf gegen die Überstunden-Kultur: Wenn der Konsum wichtiger wird als Fleiß
In einem bemerkenswerten Kurswechsel versucht die chinesische Führung derzeit, die im Land tief verwurzelte Überstunden-Kultur einzudämmen. Der wahre Grund für diesen überraschenden Sinneswandel dürfte allerdings weniger in der Sorge um das Wohlbefinden der Arbeiter liegen, als vielmehr in der verzweifelten Suche nach einem Ausweg aus dem sich verschärfenden Handelskrieg mit den USA.
Von der 996-Kultur zur erzwungenen Freizeit
Bislang war es in China völlig normal, dass Angestellte bis spät in die Nacht arbeiteten. Die berüchtigte "996-Kultur" - Arbeit von 9 Uhr morgens bis 9 Uhr abends, 6 Tage die Woche - galt lange als Erfolgsrezept des chinesischen Wirtschaftswunders. Doch nun sollen die Lichter in den Bürotürmen deutlich früher ausgehen. Beim Technologieunternehmen DJI beispielsweise werden die Mitarbeiter neuerdings um punkt 21 Uhr regelrecht aus dem Gebäude gekehrt.
Die fragwürdige Gleichung: Mehr Freizeit = Mehr Konsum
Die kommunistische Führung in Peking hofft, dass die Menschen ihre neu gewonnene Freizeit mit kräftigem Konsum füllen werden. Eine äußerst zweifelhafte Annahme, wie erste Reaktionen zeigen. Die meisten Arbeitnehmer nutzen die zusätzliche Zeit für Familie, Sport oder schlicht zum Ausruhen - von einer Konsum-Euphorie keine Spur.
Der wahre Grund: Handelskrieg mit den USA
Der eigentliche Auslöser für diesen radikalen Politikwechsel liegt in den drastisch erhöhten US-Zöllen. Diese zwingen China dazu, seinen riesigen Binnenmarkt zu aktivieren, um die wegbrechenden Exporte zu kompensieren. Ein "Aktionsplan zur Anregung der Binnennachfrage" soll es richten - koste es, was es wolle.
Kulturwandel oder Lippenbekenntnis?
Experten wie Katja Drinhausen vom Merics-Institut in Berlin bezweifeln, dass sich die tief verwurzelte Arbeitskultur Chinas so einfach per Dekret ändern lässt. Zumal viele Arbeitsmigranten auf Überstunden angewiesen sind, um ihre Familien zu ernähren. Auch dürfte die zunehmende wirtschaftliche Unsicherheit viele Chinesen eher zum Sparen als zum Konsumieren animieren.
Erste Vorreiter des Wandels
Dennoch gibt es bereits Unternehmen, die vorpreschen. Der Haushaltsgerätehersteller Midea verbietet Besprechungen nach Feierabend, der Industriekonzern Haier untersagt Wochenendarbeit. Besonders radikal zeigt sich die Handelskette Pangdonglai mit ihrer 7-Stunden-Tag-Politik - allerdings noch eine absolute Ausnahme in der chinesischen Arbeitswelt.
Die nächsten Monate werden zeigen, ob Pekings gewagtes Experiment gelingt. Die Hoffnung, dass weniger Arbeit automatisch zu mehr Konsum führt, könnte sich als gefährlicher Trugschluss erweisen. Vielleicht wäre es klüger gewesen, die jahrzehntelang propagierte Arbeitsethik nicht über Nacht auf den Kopf zu stellen.

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