
Berliner Verhandlungstheater: Wie Merz die Chance auf einen Weihnachtsfrieden verspielte
Die Bundeshauptstadt sollte zur Bühne des Friedens werden. Zwei Tage lang tagten hochrangige Delegationen aus Washington, Kiew und zahlreichen europäischen Hauptstädten im Regierungsviertel – vom noblen Hotel Adlon bis ins Kanzleramt. Das Ergebnis? Ernüchterung auf ganzer Linie. Der Ukraine-Krieg, der nun ins vierte Jahr geht, ist einer Lösung keinen Millimeter näher gekommen. Im Gegenteil: Die Berliner Gespräche haben die ohnehin verfahrene Situation womöglich noch komplizierter gemacht.
Eine verpasste Gelegenheit – schon vor Wochen
Was viele nicht wissen: Bereits am 4. November lag der Bundesregierung ein detailliert ausgearbeiteter Entwurf für ein mögliches Kriegsende vor. Trilateral abgestimmt, mit konkreten Sicherheitsgarantien für die Ukraine, Übergangsregelungen für den Donbass und einer klaren Finanzierungsstruktur. Doch was tat Bundeskanzler Friedrich Merz? Er ließ drei Wochen verstreichen, ohne zu reagieren. Dann, wie aus dem Nichts, die große Inszenierung in Berlin. Hohe Ansprüche, maximale Erwartungen – und am Ende nichts als heiße Luft.
Merz sprach vollmundig von möglichen „entscheidenden Weichenstellungen". Die europäischen Regierungschefs beschworen Geschlossenheit, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und der zugeschaltete US-Präsident Donald Trump erklärten, ein Friedensabkommen sei „so nah wie nie". Doch wer die konkreten Ergebnisse betrachtet, kommt zu einem anderen Schluss: Der Kanzler erwies sich eher als Bremsklotz denn als Motor für den Frieden.
Deutschland als Gastgeber – nicht als Akteur
Die bittere Wahrheit ist: Die Europäer standen nicht einmal im Zentrum der Gespräche. In einer geradezu grotesken Konstellation stellte Merz den Ukrainern und Amerikanern sein eigenes Kanzleramt für stundenlange Verhandlungen zur Verfügung – während er selbst draußen blieb. Berlin servierte Kaffee und Kuchen, der Kanzler durfte die illustre Runde aus Washington und Kiew begrüßen und ein paar Fotos für die Presse machen. Mitreden? Fehlanzeige.
Selenskyj selbst machte die Rollenverteilung unmissverständlich klar, als er im Vorfeld von einem „ukrainisch-amerikanischen Tag" in Berlin sprach. In diplomatischen Kreisen wird das als schallende Ohrfeige gegen Deutschland und Europa interpretiert. Die Erkenntnis wächst auch in Kiew: Europa kann der Ukraine eben doch nicht vollumfassend helfen, wenn es wirklich darauf ankommt.
Maximalpositionen statt Kompromissbereitschaft
Während die amerikanische Administration seit Trumps Amtsantritt offenbar ernsthaft versucht, mit Kiew konkrete – wenn auch schmerzhafte – Kompromisslinien auszuloten, setzen die europäischen Nebenprotagonisten auf altbekannte Maximalpositionen. Merz ließ auf X verkünden: „Wir wollen die russischen Vermögenswerte dafür nutzen, die ukrainische Armee für mindestens zwei weitere Jahre zu finanzieren." EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas warnte davor, russischen Forderungen nachzugeben. Der britische Premier Keir Starmer machte klar, dass die Briten „bis zum Ende" auf Seiten der Ukrainer stehen werden.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron betonte mantraartig, Europa dürfe nicht schwach gegenüber Russland auftreten. Doch was genau soll das bringen? Solche Positionen mögen moralisch befriedigend sein – sie führen aber nicht zum Frieden.
Die Truppenfrage als Stolperstein
Besonders deutlich wurde das Dilemma bei der Frage von Sicherheitsgarantien und Truppenentsendungen. Merz und weitere Europäer sprachen sich für eine multinationale Truppenpräsenz in der Ukraine nach Kriegsende aus. Briten, Franzosen und Deutsche auf der anderen Seite des Dnjepr – und darauf soll sich Moskau einlassen?
Die russische Antwort kam prompt und unmissverständlich. Vizeaußenminister Sergej Rjabkow erklärte in einem Interview mit ABC News: Moskau werde „weder unterstützen noch billigen oder auch nur hinnehmen", dass NATO-Truppen auf ukrainischem Territorium präsent seien. Auf die Nachfrage, ob europäische Streitkräfte ohne NATO-Mandat akzeptabel wären, antwortete er entschieden: „Nein, nein und nochmals nein."
„Eine sogenannte Koalition der Willigen unterscheidet sich im Kern nicht von der NATO und könnte die Lage in der Region sogar verschärfen."
Kreml-Sprecher Dmitri Peskow bekräftigte diese Position einen Tag später. Die Botschaft ist klar: Westliche Soldaten am Dnjepr werden von Russland niemals akzeptiert. Wer diese Maximalforderungen dennoch immer wieder auf den Tisch legt, riskiert bewusst, Verhandlungen zu blockieren. Genau das ist in Berlin geschehen.
Zurück auf Null – dank europäischer Sturheit
Aus amerikanischer Sicht wurden vorsichtige Annäherungen an Moskau faktisch wieder zunichte gemacht. Diplomaten verweisen auf Gespräche seit dem Alaska-Gipfel, bei denen sich die USA und Russland zumindest bei einem Punkt angenähert haben sollen: Sicherheitsgarantien für die Ukraine, ohne jedoch jemals der NATO beizutreten. Trump signalisierte Bereitschaft, Garantien anzubieten, die sich an Artikel 5 des NATO-Vertrags anlehnen. Aus Moskau hieß es, dies sei „grundsätzlich verhandelbar".
Doch Europa hielt an Forderungen fest, die weder militärisch abgesichert noch politisch durchsetzbar erscheinen. In Frankreich, Deutschland und Großbritannien wird keine Partei eine Wahl gewinnen, die den Einsatz eigener Truppen in der Ukraine befürwortet. Das wissen alle Beteiligten – und dennoch werden diese Positionen wie Monstranz vor sich hergetragen.
Der Donbass bleibt der Knackpunkt
Besonders heikel ist der Streit um die rohstoffreiche Kohleregion. Während amerikanische Unterhändler offenbar versuchten, mit Kiew eine konkrete Formel auszuloten – Sicherheitsgarantien im Austausch gegen einen Rückzug ukrainischer Truppen aus Teilen der Donezker Oblast –, stellten sich europäische Regierungen demonstrativ hinter Selenskyjs kategorische Ablehnung territorialer Zugeständnisse. Merz erklärte, allein die Ukraine entscheide über Gebietsfragen. Auch in dieser Frage ist man dank der Berliner Gespräche wieder am Nullpunkt angelangt.
Die wahren Verhandlungen finden anderswo statt
Am Wochenende sollen in Miami Amerikaner und Russen wieder verhandeln. Für den Kreml zählen am Ende die Verständigungen mit den USA, nicht europäische Gipfelerklärungen. Für Russland geht es nicht nur um die Ukraine – es geht um eine neue Sicherheitsarchitektur, die die Großen unter sich ausmderzeitigen Verfassung soll dabei nur eine Nebenrolle spielen.
Dass auch die politischen Verantwortlichen in Washington zunehmend in dieser Logik denken, wird in Moskau nicht als Rückschritt, sondern als Rückkehr zur geopolitischen Normalität gewertet. Die Berliner Gespräche haben aus russischer Sicht das eigene Narrativ bestätigt: Europa ist kein eigenständiger Akteur, sondern ein politisch abhängiger Teil eines von Washington geführten Blocks.
Moralisch mag der diplomatische Marathon in Berlin für Merz befriedigend gewesen sein. Von einem Weihnachtsfrieden ist man jedoch weiter entfernt als je zuvor. Die Frage drängt sich auf: War das Inkompetenz oder Kalkül? In beiden Fällen hat Deutschland eine historische Chance verspielt, tatsächlich zum Friedensstifter zu werden. Stattdessen bleibt nur die Rolle des Statisten – mit Kaffee und Kuchen.

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