
Indiens unerschütterlicher Goldglaube: Warum das Land trotz Rekordpreisen am Edelmetall festhält
Während westliche Anleger bei steigenden Goldpreisen reflexartig ihre Bestände abstoßen, zeigen die Inder einmal mehr, warum sie zu den klügsten Goldkäufern der Welt gehören. Trotz eines atemberaubenden Preisanstiegs von 44 Prozent seit Jahresbeginn – zusätzlich zu den bereits beeindruckenden 21 Prozent aus dem Vorjahr – halten die Menschen auf dem Subkontinent eisern an ihrem Gold fest. Diese bemerkenswerte Entwicklung wirft ein grelles Licht auf die unterschiedlichen Anlegermentalitäten zwischen Ost und West.
Das Phänomen des ausbleibenden Altgoldangebots
Normalerweise führen derart drastische Preissteigerungen zu einer Flut von Verkäufen. Anleger wittern ihre Chance, Gewinne mitzunehmen, und das Altmetallangebot schwillt an. Als der Goldpreis im März erstmals die magische Marke von 3.000 US-Dollar überschritt, reagierten indische Investoren tatsächlich mit verstärkten Verkäufen. Doch bei den jüngsten Rekordständen? Fehlanzeige. Die Inder behalten ihr Gold – und das aus einem simplen, aber überzeugenden Grund: Sie erwarten noch höhere Preise.
Harshad Ajmera vom renommierten Großhändler JJ Gold House in Kalkutta bringt es auf den Punkt. Die Markterwartung liege bei 125.000 Rupien pro 10 Gramm – ein erheblicher Sprung vom aktuellen Niveau von etwa 111.000 Rupien. Diese Zuversicht ist keine bloße Spekulation, sondern basiert auf jahrhundertealter Erfahrung mit dem Werterhalt des gelben Metalls.
Marktdynamik dreht sich zugunsten der Käufer
Die Konsequenzen dieser Zurückhaltung sind bemerkenswert. Statt der üblichen Preisnachlässe in Zeiten hoher Notierungen erleben wir eine Verknappung, die sogar zu Preisaufschlägen führt. Ende August kam es zu einer kurzen Phase mit geringfügigen Aufschlägen – ein Novum in einem Markt, der seit Dezember fast durchgehend mit Nachlässen gehandelt hatte. Diese Entwicklung ist ein Segen für die Banken, die nun selbst bei Rekordpreisen einen Dollar Aufschlag verlangen können, wie ein Mumbauer Juwelier bestätigt.
Import-Boom kompensiert fehlendes Altgold
Da das erwartete Altgoldangebot ausbleibt, explodieren die Importe förmlich. Mit 5,2 Milliarden US-Dollar im August – ein Plus von satten 37 Prozent gegenüber dem Vormonat – zeigt sich die ungebrochene Nachfrage. Der World Gold Council schätzt die August-Importe auf beeindruckende 60 bis 65 Tonnen, verglichen mit 42 bis 48 Tonnen im Juli. Diese Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Indien bleibt der Wachstumsmotor des globalen Goldmarktes.
Zusätzlichen Rückenwind erhält die Nachfrage durch eine Senkung der Mehrwertsteuer, die am 22. September in Kraft trat. Ein kluger Schachzug der Regierung, der zeigt, dass man die kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung des Goldes für die Bevölkerung versteht – im krassen Gegensatz zur westlichen Politik, die Edelmetalle oft stiefmütterlich behandelt.
Der verblüffende Kontrast zum US-Markt
Während die Inder ihr Gold wie einen Schatz hüten, werfen amerikanische Investoren ihre Bestände geradezu auf den Markt. Die Zahlen sind erschütternd: Ein Einbruch der US-Nachfrage nach Goldbarren und -münzen um 53 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Gerade einmal neun Tonnen kauften amerikanische Anleger im zweiten Quartal – die niedrigste Quartalsgesamtmenge seit 2019. Diese Diskrepanz offenbart die fundamentalen Unterschiede im Verständnis von wahrem Werterhalt.
Kulturelle Weisheit trifft auf ökonomische Realität
Die indische Goldaffinität ist keine irrationale Marotte, sondern tief verwurzelte Weisheit. Besonders in den ländlichen Regionen, wo zwei Drittel der Goldnachfrage entstehen, dient das Edelmetall als bewährtes Mittel zur Vermögenssicherung. In einem Land, wo viele Menschen außerhalb des formellen Finanzsystems agieren, ist Gold nicht nur Schmuck, sondern eine Art privates Bankensystem – unabhängig von Bankenkrisen, Währungsturbulenzen oder politischen Verwerfungen.
Diese Strategie erscheint umso weiser, wenn man die aktuelle Geldpolitik weltweit betrachtet. Während westliche Zentralbanken mit ihren Experimenten die Kaufkraft der Währungen erodieren lassen, setzen die Inder auf bewährte Werte. Sie haben verstanden, was viele im Westen vergessen haben: Gold ist keine spekulative Anlage, sondern ultimativer Vermögensschutz.
Die Inder zeigen uns, was langfristiges Denken bedeutet. Während westliche Anleger bei jedem Preisanstieg nervös werden und verkaufen, denken indische Familien in Generationen. Diese Weitsicht zahlt sich aus – buchstäblich in Gold.
Die Lehre aus dieser Entwicklung ist eindeutig: In Zeiten zunehmender wirtschaftlicher Unsicherheit, galoppierender Inflation und fragwürdiger Geldpolitik erweist sich die indische Strategie als vorausschauend. Physisches Gold bleibt der Fels in der Brandung – eine Erkenntnis, die im Westen erst langsam wieder Fuß fasst. Für ein ausgewogenes Anlageportfolio sollten auch deutsche Sparer die Beimischung physischer Edelmetalle ernsthaft in Betracht ziehen. Die Inder machen es vor: Wer Gold hält, denkt nicht in Quartalen, sondern in Jahrzehnten.
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