
Baltikum rüstet sich für den Ernstfall: Massenevakuierungspläne als Antwort auf russische Bedrohung
Die baltischen Staaten bereiten sich auf das Undenkbare vor. Estland, Lettland und Litauen arbeiten fieberhaft an detaillierten Evakuierungsplänen für Hunderttausende ihrer Bürger. Der Grund? Die wachsende Furcht vor einem möglichen russischen Angriff, der nach Einschätzung von Sicherheitsexperten die drei Länder innerhalb einer Woche überrollen könnte.
Seit Mai dieses Jahres haben die drei Staaten ihre Bemühungen zur Koordinierung des Zivilschutzes intensiviert. Die Planungen seien seitdem erheblich beschleunigt worden, berichtet Reuters. Ein klares Zeichen dafür, dass man die Bedrohung aus dem Osten ernst nimmt – sehr ernst.
Verdoppelte Verteidigungsausgaben und konkrete Szenarien
Die baltischen Regierungen haben ihre Verteidigungsausgaben seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine im Jahr 2022 verdoppelt. Als Begründung führen sie wiederholte russische Cyberangriffe, Desinformationskampagnen und jüngste Verletzungen des baltischen Luftraums durch russische Kampfjets und Drohnen an. Alles deutliche Zeichen einer wachsenden Feindseligkeit, die man nicht länger ignorieren könne.
Renatas Požėla, Leiter des litauischen Feuer- und Rettungsdienstes, warnt eindringlich: "Es ist möglich, dass wir eine massive Armee entlang der baltischen Grenzen sehen werden, mit dem offensichtlichen Ziel, alle drei Länder innerhalb von drei Tagen bis zu einer Woche zu erobern." Eine Einschätzung, die aufhorchen lässt und die Dringlichkeit der Vorbereitungen unterstreicht.
Nicht nur konventionelle Kriegsführung im Fokus
Während eine konventionelle Invasion das gravierendste Szenario darstellt, bereiten sich die Regierungen auch auf eine Reihe anderer destabilisierender Ereignisse vor. Dazu gehören Sabotageakte gegen Verkehrsnetze, Massenmigrationswellen, Unruhen unter russischsprachigen Minderheiten und Desinformationskampagnen, die Panik auslösen sollen. Ein Katalog der Bedrohungen, der zeigt, wie vielfältig moderne Kriegsführung geworden ist.
Konkrete Zahlen: Hunderttausende könnten betroffen sein
Die Dimensionen der Planungen sind beeindruckend. In Litauen rechnet man damit, etwa 400.000 Menschen evakuieren zu müssen – etwa die Hälfte aller Einwohner, die innerhalb von 40 Kilometern zur russischen und belarussischen Grenze leben. Kaunas, die zweitgrößte Stadt Litauens, hat sich darauf vorbereitet, 300.000 Menschen in Schulen, Kirchen, Universitäten und einem Stadion unterzubringen.
Estland plant, etwa 10 Prozent seiner 1,4 Millionen Einwohner in temporären Unterkünften unterzubringen. In der Grenzstadt Narva mit ihrer großen russischsprachigen Bevölkerung könnten zwei Drittel der 50.000 Einwohner evakuiert werden.
Lettland bereitet sich sogar auf noch größere Vertreibungen vor. Etwa ein Drittel der 1,9 Millionen Bürger könnte im Kriegsfall aus ihren Häusern vertrieben werden, warnt Ivars Nakurts, stellvertretender Kommandeur des lettischen Feuer- und Rettungsdienstes. "Rechnen Sie mit allem", mahnt er eindringlich.
Der kritische Suwałki-Korridor
Ein besonders heikler Punkt in den Evakuierungsplänen ist der Suwałki-Korridor – jener schmale Landstreifen zwischen Belarus und der russischen Exklave Kaliningrad, der die einzige Landverbindung der baltischen Staaten zum restlichen NATO-Gebiet darstellt. Keiner der baltischen Staaten plant derzeit, Zivilisten über ihre Grenzen hinaus zu verlegen, da dies militärische Konvois durch diesen gefährdeten Korridor erfordern würde.
"Wir müssen das Risiko berücksichtigen, das vom Suwałki-Korridor ausgeht", erklärt der estnische Sicherheitsexperte Ivar Mai. Eine Einschätzung, die die strategische Verwundbarkeit der Region unterstreicht.
Moskaus Dementis und die Realität vor Ort
Während die baltischen Staaten ihre Vorbereitungen intensivieren, beharrt Moskau darauf, keine Absichten zu haben, ein EU-Mitgliedsland anzugreifen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow erklärte vor der UN-Generalversammlung, Präsident Putin habe solche "Provokationen" wiederholt zurückgewiesen. Russland habe "niemals solche Absichten gehabt und hat sie auch nicht", versicherte er, fügte jedoch hinzu, dass "jede Aggression gegen mein Land mit einer entschiedenen Antwort beantwortet wird".
Diese Beteuerungen stehen jedoch im krassen Widerspruch zu den jüngsten Vorfällen. Russische Drohnen wurden über Polen gemeldet, russische Kampfjets drangen in den estnischen Luftraum ein. Die Liste der Provokationen wird länger, die Nervosität in den baltischen Hauptstädten steigt.
Die Evakuierungspläne der baltischen Staaten mögen manchen übertrieben erscheinen. Doch angesichts der Erfahrungen der Ukraine und der geografischen Verwundbarkeit der Region erscheinen sie als notwendige Vorsichtsmaßnahme. Die Geschichte hat gezeigt, dass es besser ist, auf das Schlimmste vorbereitet zu sein, als von den Ereignissen überrollt zu werden. Die baltischen Staaten haben diese Lektion offensichtlich gelernt.
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